Justiz befördert Missachtung der Regeln
200 Euro und ein Monat Fahrverbot: Kann das eine angemessene Strafe sein, für die (fahrlässige) Tötung eines Kindes? Dieses Berliner Gerichtsurteil erhitzt seit Tagen die Gemüter.
Für alle Auswärtigen: Stau auf der Straße, der Angeklagte rast mit über 70 km/h über die Busspur am Stau vorbei. Ein vierjähriger Junge, der nicht an der Hand der Mutter ist, rennt von der Mittelinsel durch die haltenden Fahrzeuge auf die Straße und wird vom Auto des Angeklagten erfasst. Die Fußgängerampel war rot.
Der „Tagesspiegel“ bringt heute nach Gesprächen mit Juristen und Richtern einen Versuch, dieses Urteil zu erklären. Vor der Lektüre konnte ich das Urteil nicht verstehen, jetzt bin ich empört. Dass der Mutter eine Mitverantwortung gegeben wird, ist ein Schlag ins Gesicht für alle Eltern. Sie war wohl mit Taschen und Einkaufswägelchen so ausgelastet, dass keine Hand mehr frei war. Hätte das Gericht nicht fragen können, was gewesen wäre, wenn die Mutter mit drei Kindern unterwegs gewesen wäre. Ob man nicht als Kraftfahrer auch mit diesen Fällen rechnen muss. Stattdessen wird das Ganze umgekehrt: Der Unfall wäre ja definitiv nicht passiert, wenn der Angeklagte nicht vorschriftswidrig die Busspur benutzt hätte. Da heißt es dann: Damit muss man rechnen, es hätte ja auch ein Taxi sein können.
Geradezu zieht es mir aber die Schuhe aus, wenn ein Richter sich zitieren lässt mit der Aussage, wenn es ein Taxi mit 50 km/h gewesen wäre, hätte man den Fahrer freisprechen müssen. Lieber Richter: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung! In der StVO (§ 3) heißt es zur Geschwindigkeit innerorts: Sie beträgt unter günstigsten Umständen 50 km/h. Sind die Umstände wirklich „günstigst“, wenn man an einem Stau vorbei verbotswidrig über die Busspur rast und ein Mutter mit einem kleinen Kind an der Ampel steht? Natürlich nicht! Deshalb ist die ganze Beweiswürdigung falsch. Es geht nicht um die Frage, ob der Unfall mit 50 km/h vermeidbar gewesen wäre, sondern darum, was hier in Anbetracht der Umstände die angemessene Geschwindigkeit gewesen wäre. Aus meiner Sicht wären das 30 km/h gewesen. Hätte der Angeklagte diese Geschwindigkeit eingehalten, wäre der Unfall vermeidbar gewesen. Und mit diesem Schluss ist das Urteil unhaltbar.
Wie nun weiter? Ich fürchte, an dem Vorwurf wir hätten eine autoaffine Justiz, ist etwas dran. Wir müssen das Thema auf den Verkehrsgerichtstag in Goslar bringen und ich hoffe darauf, dass die öffentliche Empörung in diesem und in vielen anderen ähnlichen Fällen nicht nachlässt. Und ich fordere die Staatsanwaltschaft auf, dieses Urteil nicht zu akzeptieren. Da könnte sie viel mehr für die Verkehrssicherheit leisten, als mit der Mordanklage gegen die Kudamm-Raser, die aus meiner Sicht auch im zweiten Anlauf zum Scheitern verurteilt ist.
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